Aktuelle Daten zur gesundheitlichen Situation an Windenergieanlagen

von Prof. Dr Werner Roos im Dezember 2023

1. Um welchen Schall geht es ?

Windanlagen emittieren sowohl Hörschall als auch Infraschall. Hörbarer Schall (> 20 Hz) wird erfahrungsgemäß im Umkreis bis etwa 1 km von heutigen Anlagen wahrgenommen. Seine Intensität darf Grenzwerte nicht überschreiten, die in der TA Lärm (Technische Anleitung zum Schutz gegen Lärm) festgelegt sind, z.B. für Wohngebiete 35 dB nachts und 50 dB am Tag (1). Es gibt mehrere Ausnahmen (z.B. an Baustellen), und für den aktuellen WEA-Ausbau wurden die Grenzwerte teilweise ausgesetzt. Hörschall (Lärm)wird in seiner Gesundheitsgefahr häufig unterschätzt, sowohl bei beruflicher Exposition als auch bei der Einwirkung im Schlaf. Die WHO bekräftigte dies u.a. in ihren Empfehlungen für Europa (2).

Der nicht hörbare Infraschall aus Windanlagen ist noch in mehreren Kilometern Abstand wirksam (3), seine Reichweite steigt mit der Anlagengröße. Für die Emission aus 4 Anlagen von 1,8 MW hat die Bundesanstalt für Geologie und Rohstoffe 2021 eine Reichweite von etwa 10 km gemessen und insofern ihre früheren Angaben bestätigt (4). Für den gesundheitskritischen Frequenzbereich unterhalb von 8 Hz gibt es derzeit keine Grenzwerte und Messvorschriften. Eine Änderung der zugrunde liegenden DIN 45680 ist in Vorbereitung.

Zur Einschätzung gesundheitlicher Wirkungen sind mehr präzise Daten zur Emission aus Windanlagen wünschenswert, auch für die hörbare Emission beklagte die WHO einen Mangel an Daten (2).

2. Gesundheitsgefahr

2.1 Spezifika der Emission von WEA

Gesundheitliche Probleme von Anwohnern werden nicht durch Infraschall generell verursacht, sondern durch die besonderen Eigenschaften des Infraschalls aus Windenergieanlagen: eine periodische Abfolge steiler peaks des Schalldrucks, die durch Kompression der Luft bei der Passage der Flügel vor dem Mast entstehen. Diese peaks und die zugehörigen Oberschwingungen („Harmonische“) ergeben eine akustische Signatur, die von der Drehzahl und Größe der Anlage bestimmt und durch geografische und meteorologische Gegebenheiten modifiziert wird. Typische Erkrankungen von Anwohnern sind seit langem bekannt und beginnen stets mit hochgradigem Schlafmangel, gefolgt u.a. von Schwindelanfällen, Tinnitus, Angstzuständen, Blutdruckanstieg und Atemdepression und führen oft zu Herz-Kreislauf-Problemen (5). Beim Stillstand der Anlage verschwinden Gesundheitsbeschwerden (wenn noch keine dauerhaften Schäden vorliegen), obwohl der Wind auch dann Schalldrucke in ähnlicher Höhe wie eine aktive Anlage erzeugen kann (6).

Hintergrund-Infraschall (messbar an inaktiven Anlagen) besteht aus „statistischem Rauschen“, d.h. er enthält keine periodisch wiederholten peaks und ist offenbar nicht oder deutlich weniger gesundheitsschädigend. Ähnliche Emissionen treten z.B. bei Autofahrten mit offenem Fenster oder einigen Haushaltsgeräten auf. Natürliche Quellen (Meeresbrandung, Wind im Wald, Gewitter u.a.) liefern ebenfalls Infraschall in Form von statistischem Rauschen. Wenig gesundheitsschädlich ist auch sinusförmiger Infraschall, der in mehreren medizinischen Tests eingesetzt wurde (z.B. 7).

2.2. Öffentliche Wahrnehmung

Im Jahr 2022 hat ein französisches Gericht den von Windanlagen emittierten Infraschall aus als gesundheitsschädigend eingestuft und einen Windpark-Betreiber zu Schadensersatz verurteilt. Dem Urteil gingen langjährige und tiefgründige Recherchen voraus (8).

Bei der Einschätzung der Gesundheitsgefahr ist zu berücksichtigen, dass Infraschall (< 20 Hz) häufig gemeinsam mit niederfrequentem Hörschall (>20 Hz bis etwa 100 Hz) emittiert wird. Zumindest im Nahbereich bis etwa 1 km sind daher physikalische Wechselwirkungen zwischen Emissionen unterschiedlicher Frequenzbereiche (z.B. Amplitudenmodulation) möglich, ebenso eine Verstärkung der biologischen Wirkung. Eine kanadische Arbeitsgruppe hat 2022 eine Übersicht zum Gesundheitsrisiko der Anwohner von Windanlagen und von Weidetieren vorgelegt (9), wobei nicht zwischen niederfrequentem Hörschall und Infraschall unterschieden wurde. Bei Anwendung wissenschaftlicher Kriterien kommt sie zum Schluss, dass ein kausaler Zusammenhang zwischen der Emission der Anlagen und den Erkrankungen der Anwohner besteht. Die Beteiligung von Infraschall äußert sich u.a. darin, dass zahlreiche Betroffene außerhalb der Reichweite des Hörschalls wohnen.

3. Wissenschaftlicher Hintergrund

Die experimentelle Medizin hat die spezifischen Wirkungen des Infraschalls aus Windanlagen nicht eingehend untersucht. Dennoch weist das vorhandene Wissen über die Wahrnehmung von Infraschall generell auf Angriffspunkte und gesundheitliche Risiken hin.

  • Infraschall wird im Gleichgewichtssystem als Beschleunigung wahrgenommen, wobei noch extrem geringe Änderungen von etwa 1/10 000 g registriert werden (10).
  • Auch auf zellulärer Ebene sind Infraschall-Wirkungen zu vermuten, etwa im Herzmuskel, worauf z.B. die Existenz von Ionenkanälen hinweist, die auf mechanischen Druck reagieren (11).
  • Durch Infraschall ausgelöste informationen gelangen ohne bewusste Wahrnehmung ins Gehirn und aktivieren dort distinkte Areale (12). In diesen Regionen werden autonome Reaktionen (Atemfrequenz, Herzfrequenz, Blutdruck) und emotionale Reaktionen (Angstzustände, Fluchtreflex) des Körpers kontrolliert. Derartige Funktionen sind bei erkrankten Anwohnern von Windanlagen häufig gestört. Diese Tatsache begründet ein wesentliches Gesundheitsrisiko.
  • Unseriös ist die Behauptung, der Infraschall aus Windanlagen sei ungefährlich, weil sein Schalldruck weit unter der Wahrnehmungsschwelle des Menschen liegt (z.B. 13). Die behördliche „Wahrnehmungsschwelle“ ist am Hörvorgang orientiert und verbindet Schalldrucke, die 90 % der Testpersonen nicht mehr hören. Bei der „Hörschwelle“ sind es 50 % (13). Der Empfang von Infraschall erfolgt jedoch über andere Wege und Mechanismen als der Hörvorgang. Die Tatsache, dass im Infraschallbereich periodische peaks des Schalldrucks Gesundheitsprobleme verursachen, nicht aber statistisches Rauschen (s.o.) weist darauf hin, dass die Wirkung dieses Infraschalls nicht auf der Dezibel-Skala abgelesen werden kann. Die von interessierter Seite oft publizierten, rein quantitativen Vergleiche mit üblichen Druckänderungen, z.B. bei jeder Bewegung im Schwerefeld, sind nutzlos für eine Einschätzung der Gesundheitsgefahr.

Hinweise auf das Gesundheitsrisiko von Windanlagen finden sich auch in der Übersicht (14).

4. Die Nocebo-Hypothese – sind betroffene Anwohner psychisch krank?

Seit Jahren wird durch regierungsnahe Wissenschaftler die Nocebo-Hypothese verbreitet: die Gesundheitsprobleme von Anwohnern seien „eingebildete Krankheiten“, also psychisch ausgelöste Schäden, die durch eine „negative Erwartungshaltung“ gegenüber Windrädern entstehen (z.B. 15). Diese Denkweise macht Opfer zu Mitschuldigen. Sie erklärt jedoch nicht,

  • dass Belästigungen beim Stillstand der Anlagen verschwinden (solange noch keine dauerhaften Schäden vorliegen),
  • dass alle Betroffenen einen sehr ähnlichen Krankheitsverlauf zeigen, der stets von hochgradigen Schlafstörungen ausgeht (s.o.)
  • dass Weidetiere (Rinder, Pferde, Schafe und Schweine) in der Nachbarschaft von Windrädern oft ein ungewöhnliches bzw. aggressives Verhalten und erhebliche Störungen der Reproduktion zeigen, wie Unfruchtbarkeit, Fehlgeburten und Missbildungen (16, 17). Ähnliches gilt für Geflügel und Pelztiere.

Insgesamt erklärt die Nocebo-Hypothese nicht die Ursache des Gesundheitsrisikos der Anwohner von Windanlagen, auch wenn man akzeptiert, dass durch einen externen Stressor ausgelöste Schäden durch psychische Belastung verschlimmert werden können.

5. Ein Fazit

Die Gesundheitsschäden unter den Anwohnern, die Spezifika des emittierten Infraschalls und die Erkenntnisse zur generellen Wahrnehmung von Infraschall lassen kaum Zweifel daran, dass der Infraschall aus Windenergieanlagen vom Menschen als Stressor bewertet und beantwortet wird. Ein kurzzeitig beherrschbarer Stressor kann bei chronischer Einwirkung ein hohes Gefahrenpotential gewinnen.

Dagegen behauptet das Umweltbundesamt (UBA) es gäbe „keine gesicherten Erkenntnisse, die gesundheitsschädigende Wirkungen des Infraschalls aus Windanlagen belegen“. Abgesehen davon, dass diese Behörde hier selbst entscheidet, was eine „gesicherte Erkenntnis“ ist, stellt sich dieFrage, ob ihre eigenen Aktivitäten zur Erkenntnis beitragen. Die letzte, vom UBA veranlasste Studie zur Wirkung von Infraschall hat jedenfalls die konkrete Signatur der Emission von Windanlagen nicht einbezogen (18). Dasselbe gilt für staatlich unterstützte medizinische Studien in Dänemark (19), Finnland (20) und Australien (21). Offenbar fehlte der Wille, das Gesundheitsrisiko der unhörbaren Emission aus Windanlagen unvoreingenommen zu klären. In Deutschland stellt sich angesichts des politisch verstärkten Ausbautempos von Windstrom die Frage, ob begründete Bedenken so lange ignoriert werden dürfen, bis ein erheblicher Anstieg von Geschädigten letzte Zweifel beseitigt.

Quellen:

1 Technische Anweisung zum Schutz gegen Lärm (TA Lärm), Stand 2017: BAnz AT 08.06.2017 B5.

2 WH0 (2018) Environmental noise guidelines for the European Region, WHO Regional Office for Europe, DK-2100 Copenhagen, Denmark. ISBN 978 92 890 5356 3

3 Paller C: Exploring the association between proximity to industrial wind turbines and self-reported health outcomes in Ontario, Canada. MSc Thesis Univ. Waterloo, 2014.

Palmer WKG: Why wind turbine sounds are annoying, and why it matters. Global Environ Health Safety 2017; 1: 12-17.

4 Bundesanstalt für Geologie und Rohstoffe, Pilger u. Ceranna: Korrektur und Replik, J. Sound Vib. 2021, https://doi.org/10.1016/j.jsv.2021.116636BGR.

5 Stelling K: Infrasound / low frequency noise and industrial wind turbines. Information report, Multi-municipal wind turbine working group, 2-46, 2015. https://www.wind-watch.org/documents/infrasoundlow-frequency-noise-and-wind-turbines/

Mayer J: Medizinische Daten und Studien zur Wirkungsweise von ILFN (infrasound and low frequency noise) 2016, Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht wegen Verletzung des Grundgesetz-Artikels 2, Absatz 2. https://aefis.jimdo.com/2016/02/18/verfassungsbeschwerde/

6 Bahtiarian M and Beaudry: Infrasound Measurements of Falmouth Wind Turbines, Technical Memo 2015 – 004. Noise Control Engineering, Billerica, MA 01821, USA.

7 Ascone Let al. A longitudinal, randomized experimental pilot study to investigate the effects of airborne infrasound on human mental health, cognition, and brain structure. www.nature.com/ scientific reports (2021) 11:3190, https://doi.org/10.1038/s41598-021-82203-6.

8 Cour d’Appel de Toulouse, Urteil Nr. 659/2021.

9 Dumbrille A, McMurtry, Krogh: Wind turbines and adverse health effects: Applying Bradford Hill’s criteria for causation. Environ Dis 2021;6:65-87.

10 Todd NP, Rosengren, Colebatch: Tuning and sensitivity of the human vestibular system to low-frequency vibration. Neurosci. Lett. 2008; 444: 36-41.

11 Kefauver, Ward, Patapoutian: Discoveries in structure and physiology of mechanically activated ion channels. Nature 2020. 587(7835): p. 567-576. (Zusammenfassung von Arbeiten, für die Ardem Patapoutian den Nobelpreis 2022 erhielt).

12 Weichenberger et al.: Altered cortical and subcortical connectivity due to infrasound administered near the hearing threshold – Evidence from fMRI. PLOS one 2017; 12: e01744201. https://doi.org/10.1371/journal.pone.0174420.

13 Landesanstalt für Umweltschutz Baden-Württemberg: Tieffrequente Geräusche inkl. Infraschall von Windkraftanlagen und anderen Quellen. Februar 2016. https://pudi.lubw.de/detailseite/-/publication/84558, Dazu Erklärungen und Details 2019 und 2021.

14 Roos W, Vahl C: Infraschall aus technischen Anlagen. Arbeitsmed Sozialmed Umweltmed (ASU) 2021; 56: 420-430.

15 Crichton F, et al.: The link between health complaints and wind turbines: support for the nocebo expectations hypothesis. Frontiers Public Health 2014; 2: 220. doi: 10.3389/fpubh.2014.00220.

16 Negative Wirkungen von Windanlagen auf Weidetiere werden durch Landwirte kommuniziert, statistisch gesicherte Daten sind nicht leicht auffindbar. Angaben zu reduzierter Fruchtbarkeit, Fehlgeburten, missgebildeten Embryos u.ä. sind in Diskussionsbeiträgen und Reportagen dokumentiert. Übersichten dazu finden sich bei (9) und auf der website des WCFN (World Council for Nature): List of scientific and other literature evidencing the adverse effects of infrasound on animals. https://worldcouncilfornature.wordpress.com/ 2016/10/02/wind-turbines-effects-on-animals/

17 Biochemisch gesicherte Belege für Stress-Effekte durch Windanlagen liegen vor für Zuchtgänse, die einen Anstieg des Stress-Hormons Cortisol, gehemmtes Wachstum und geringere Fleischqualität zeigen. – Mikołajczak et al.: Pol J Vet Sci 2013;16(4):679-86. doi: 10.2478/pjvs-2013-0096, und Karwowska et al.: Ann.Anim.Sci.,14:441–451.

Schweinehaltung in geringem Abstand zu Windanlagen führt ebenfalls zu geringer Fleischqualität.

– Karwowska et al.: Ann. Anim. Sci.,Vol.15,No.4(2015)1043–1054 DOI:10.1515/aoas-2015-0051.

18 UBA-Studie 163/2020: Lärmwirkungen von Infraschallimmissionen. Abschlussbericht.

Im Auftrag des Umweltbundesamtes wurden Testpersonen für 30 min mit sinusförmigem Test-Infraschall im Blindversuch konfrontiert. Diese Art von Infraschall kommt an WEA nicht vor.

19 Poulsenet al.: Environ Int 2018; 121 (Pt1): 207– 215, https://doi.org/10.1016/j.envint. 2018.08.054. – Poulsenet al.: Environmental Health Perspectives 2019; 2019(3): 037004-1 – 10. https://doi.org/10.1289/EHP3340 (und nachfolgende Publikationen dieser Gruppe)

Die dänischen Autoren untersuchten die Häufigkeit einiger Erkrankungen in Abhängigkeit von der Emission naheliegender Windanlagen. Es wurde jedoch nur hörbarer (A-gefilterter) Schall einbezogen.

20 Maijala P B et al.: Infrasound does not explain symptoms related to wind turbines. Publications of the government’s analysis, assessment and research activities, Finland; 2020:34. http://urn.fi/URN: ISBN:978-952-287-907-3.

Der von Windanlagen emittierte Infraschall wurde aufgezeichnet und im Blindversuch an Testpersonen abgestrahlt. Alle Messungen erfolgten jedoch als Terzspektren, d.h. die charakteristische Signatur des Infraschalls der Anlagen wurde nicht erfasst und kann deshalb nicht mit medizinischen Befunden korreliert werden.

21 Marshall N et al., Environmental Health Perspectives, 131(3) March 2023. https://doi.org/10.1289/EHP10757.

Die australischen Autoren haben auf Probanden im Schlaflabor für 72 Stunden Test-Infraschall im Blindversuch einwirken lassen. Dieser war künslich erzeugt und zeigte ein regelmäßiges, dreiecksförmiges An- und Abschwellen. Diese Art von Infraschall kommt an WEA nicht vor.